Mittwoch, 31. Dezember 2014

XIII. Die Landschaft

Das Ende des Dreieckskonflikts zeigt eine eher schwache Karin im Vergleich zu ihrer starken Entschlossenheit im erfolgreichen Freiheitskampf gegen Christian II., aus dem letztlich aber Wasa siegreich hervorgeht. Rosen ist als Verlierer ein Antiheld, der innerlich zerstört überlebt. Das ist in anderen Novellen gerade auch in „Nordlicht“ z.B. in „Magister Thimotheus“ bei Jensen nicht typisch. Geschwisterlich enge Beziehungen wie ebendort in „Posthuma“ münden schon im Frühwerk ohne psychoanalytische Dimensionen in Katastrophen, als würden sie bestraft.
Auf einer anderen, öfter im Vorbeigehen angesprochenen Ebene bleibt Karin dennoch die eindrucksvollste Gestalt in Jensens Novelle, weil er mit ihr verbunden die ganze Poesie der elementaren Natur Schwedens vor Augen führt. Er lässt sie mythologisiert aus der Trollhättan-Landschaft entstehen, und der Leser sieht mit ihren Blicken im Jahresablauf Wasser, Wald und Himmel - die Zeichen gebende, bergende, beseelte Natur ihrer Heimat. Wilhelm Jensen hat gut daran getan, ein ursprünglich anzunehmendes Drama „Karin von Schweden“ episch aufzulösen, denn nur so kann die Poetisierung sich deskriptiv voll entfalten. Um ihretwillen fokussiert er den geschichtlichen Ablauf und die Topologie, damit das Wesen der nordischen gewaltigen Landschaft mit ihren Elementen in der jeweiligen jahreszeitlichen Beleuchtung sich darin manifestieren kann. Sie ist konstitutiv für die Identität der Personen, besonders für Karins Charakterisierung. Sie verkörpert in großer Bodenständigkeit die selbständige politische Entscheidung für die Freiheit, ohne - und dies zeigt der Schlussteil - überzogen idealisiert zu werden. Jensen legt mit dieser einheitlichen Sehweise die Grundlage für ein literarisches Konzept, dass er über Jahrzehnte in anderen Landschaften in historischer Perspektive sehr erfolgreich fortsetzt.
Die französische Übersetzung stößt gerade bei dieser Poetisierung, die ja eine sprachliche in Laut und Bild ist, an ihre Grenzen. Schon im zweiten Satz kommen die stürzenden Wasser des Trollhättan lautlich selber zu Wort: „sie rauschen seit tausend, tausend Jahren,.“ Dieses Rauschen mit dem Verb „gronder“ wieder zu geben, vermittelt nur einen annähernden Eindruck ebenso wie die alliterierenden Doppelverben die malerische Seite in der Fremdsprache nur andeuten. Und die tiefrote stille Mahnung des abendlichen Mälarsees, die vom Jubel in der Hauptstadt „abstach“, wird der Doppelbödigkeit der dichterischen Sprache mit „contraster“ nicht gerecht, denn gerade in der ambivalenten Hervorhebung am Absatzende kündigt mit dieser rhetorischen Prolepse die wissende und warnende Natur auch das Massaker („abstechen“ mit Dolchen) von Stockholm an. Das Gesamtbild, zu dem immer Details zu ergänzen wären, entsteht in der Imagination, kraft derer der Autor Jensen zum Gang durch die Geschichte ausgewählter Naturlandschaften einlädt:

Was niemand schrieb, das meldet euch der Dichter.
Wo Dunkel sich auf lang Verschollnes streckt,
Hellt er die Nacht; verworrner Kunde Schlichter,
Entwirrt er deutend sie. Vom Schlaf erweckt
Die Toten er. Verkündet als Berichter,
Was ihre Brust dem Blick ihm aufgedeckt.
Im Zwange frei, belebt er zum Gedichte
Mit warmem Menschenherzschlag die Geschichte.

(Motto zu Jensens letztem Roman „Auf dem Vestenstein“ 1912, zuvor schon 1896 in „Der Hohenstaufer Ausgang“)

In Wilhelm Jensens „Karin von Schweden“ dominiert die Poetisierung in den Naturpassagen gegenüber dem historischen Geschehen, das sich diesem Effekt bisweilen unterordnet und zur Steigerung der Dramatik sogar umstrukturieren lässt. Das verbindet sich in den späteren Romanen, die nicht dunkel Verschollenes oder exotische Fernen erhellen, nicht mehr so oft zu der aufgezeigten suggestiven Einheit, weil vaterländische Geschichte dem deutschen Leser stärker vertraut war. Vielleicht weicht er gerade deswegen nicht nur in entfernte Jahrhunderte, sondern auch in Grenzräume wie z.B. die Nordseeränder aus, wo seine elementar erlebte grandiose Imagination zu Hause ist und das Zeitgeschehen dort störend in den Rhythmus von Natur und Mensch einbricht.


Wilhelm Jensen 1872



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