Mittwoch, 31. Dezember 2014

XII. Finale

Die letzten drei der neun Kapitel sind die narrative Geschichte des schwedischen Befreiungskampfes, den Jensen entscheidend verkürzt, aber durch direkte Quellenzitate große Authentizität verleiht. Er scheint diese Verkürzung durch den ausgedehnten Anteil der Erzählzeit gegenüber dem Dramen-Teil im Gesamttext ausgleichen zu wollen. Gustav Wasa steht erfolgreich im Mittelpunkt und ist bereits in der Krönungsstadt Uppsala angekommen. Er erweist sich als Gegenbild zu Christian mit musterhafter Ordnung und nordischer Ehrbarkeit (vgl. S. 191). Karin hatte ihn während ihrer langen Flucht nach Norden bisher nicht wieder gesehen. Auch ihr Herz war wie Torpa zu Asche geworden (S. 200). Schweden war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz befreit, denn die Dänen behaupteten sich in Stockholm.. Wasa lässt Karin mit der geretteten Brita nach Uppsala kommen. Dort zeigt sich Karin unentschieden, flieht vor Wasa in die Natur, wo er sie schließlich zur Rede stellt und ihr ihr Wort zurück gibt, weil er nicht länger auf sie warten will. Die Rollen im Liebeskonflikt mit Rosen haben sich verkehrt: jetzt trifft die Zurückweisung Karin selber. Sie braucht Wochen für eine Entscheidung, begibt sich dann aber zu Wasa; „Ich will Dir Mutter und Schwester sein“ (S. 2008, Ende Kap. VII). Keine Geliebte? Hat sie resigniert?
Jensen gestaltet dieses Verhältnis abgelöst vom historischen Vorbild und zeitlich verschobenen Kontext psychologisch frei.
Mit einem wunderschönen nordischen Herbst rundet er das Schreckensjahr positiv ab (Kap. VIII und IX). Gustav wird zum König gewählt, Karin ist die Königsbraut an seiner Seite. Im Dom von Uppsala stehen sie vor dem Altar, als die Botschaft von der Übergabe Stockholms eintrifft: Schweden ist frei und damit für Karin die wichtigste Bedingung für ihre Bindung an Wasa im letzten Augenblick erfüllt, obwohl sie Gustav Rosen in der Menge wahrnimmt und sich jäh an ihre Liebe erinnert und mit dem mysteriösen Aufschrei: „Du bist der Trollhättan“ besinnungslos in die Arme ihres Gatten fällt (S. 222). Wasa tadelt öffentlich die Mutter, die Schatten von Torpa geweckt zu haben. Auch ein Religionswechsel kündet sich an: der neue König trinkt auf das Wohl Martin Luthers. Beim Festmahl würdigt er sogar den ebenfalls überlebenden Gustav Rosen, den er als Gesandten zum deutschen Kaiser Karl mit der erfolgreichen Bitte um Beistand geschickt hatte.
Mit dem letzten, dem neunten Kapitel beginnt die segensreiche Zeit des Königs Gustav Wasa, dessen historische Durchsetzungsschwierigkeiten hier keinen Raum haben. Karin entweicht oft ans Meer, auf den Hügel, wo Gustav Wasa sie schmerzvoll verlassen hatte. Dort findet der todtraurige Gustav Rosen sie, von dem sich Karin endgültig verabschiedet. Auf Rosens Frage, ob sie Wasa liebe, sagt sie schließlich unbeirrt; „Ja“ (S. 237). Wie irr umklammert er sie daraufhin. „Doch sie löste sich kraftvoll aus seinen Banden“ (S. 237). Mit dieser symbolisch-pathetischen Geste findet sie in ihre neue Rolle, ohne freilich Rosen jemals vergessen zu können. Die Wasser des Mälarsees umströmen dies Ende, leiten zurück zum Trollhättan des Beginns und mit ihnen rauschen Tage und Jahrhunderte heran, die die persönlichen Probleme vergessen lassen. 

1 Kommentar:

  1. Noch eine Anregung und eine Frage (habe leider keine Möglichkeit für direkte Kontaktaufnahme gefunden):
    Zu Jensens Werken lässt sich ergänzen: Seine erste publizierte Schrift ist "Gestrandet", 1863, Verlag August Zang, Wien.
    Die Novellensammlung "Iris und Genziane" (Schottländer, o.J., 1899, darin die zwei Novellen: Ein Ausnahmstag. Genziane.) ist nicht identisch mit einer später herausgegebenen Novellen-Sammlung "Iris und Genziane" in "Deutsche Volkskultur in Wort, Bild und Klang", Berlin, o.J.: Dort sind die "Genziane" (quasi unter dem Titel "Iris und Genziane") abgedruckt, daneben "Die perisianischen Häuser". Der "Ausnahmstag", in dem die Iris eine Rolle spielt, ist dort nicht enthalten.
    "Flut und Ebbe" 1877, Behre's Verlag, hat mit der "Insel" (1874) nichts zu tun.
    Eine Frage: Handelt es sich bei "Fürst und Pfarrherr: Erzählung aus dem XVI. Jahrhunder. Leipzig.", 1875, um eine eigenständige Erzählung, oder handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem Werk: "Aus dem 16. Jahrhundert"?
    Wenn ich noch auf meinen Beitrag zu Jensen hinweisen darf: "Gradiva. Wahrhafte Dichtung und wahnhafte Deutung." (2012) - eine Auseinandersetzung mit der Deutung Freuds und der Versuch, eine sich wiederholende Thematik in Jensens Werk zu ergründen: der Tod einer Kindheitsfreundin im Alter von 18 Jahren (WJ war damals 20). Sie starb übrigens an einem 2. Mai - genau an dem Tag, an dem die Beziehung zwischen Karin Stenbock und Gustav Rosen endgültig auseinanderbricht, weil er sich ihr und ihren Plänen gegenüber als "Verräter" erweist.

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