Mittwoch, 31. Dezember 2014

VIII. Jensen als Leser Ibsens

Die Ibsen-Rezeption setzte in Deutschland erst 1869 mit der Übersetzung von „Brand“ ein.1 Frau Inger auf Oestrut, zuerst 1877 ins Deutsche übersetzt, wurde Ende 1878 in Berlin uraufgeführt. Woher sollte Jensen das Ibsen-Stück als Vorlage oder Ideenansatz kennen gelernt haben? Die beiden Wege der Autoren kreuzten sich nicht, obwohl sich Ibsen ab 1864 auf dem Kontinent lange in Italien und Deutschland aufhielt.2 „Fru Inger til Östrot“ erschien fast drei Jahre nach der Uraufführung von Mai bis August in fünf Teilen (= fünf Akten) 1857 im Feuilleton des „Illustrered Nyhedsblad“ in Christiania (damaliger Name Oslos). Es folgte eine Sonderausgabe im selben Jahr von 250 Exemplaren. Alle Rechte hatte Ibsen der genannten Zeitung überlassen, so dass er das Stück 1874 umarbeitete und mit 4000 Exemplaren verlegen konnte. Unsere obigen Angaben in VII. beziehen sich auf die zweite Ausgabe.
Jensen selber gibt indirekt eine mögliche Querverbindung durch eigene Lektüre an, wobei man wissen muss, dass Henrik Ibsen wie alle Norweger damals „bokmǻl“ schrieb, d.h. die dänische Schriftsprache, die Jensen beherrschte und pflegte. In „Das Asylrecht“ (1888) schildert er den Literaturzirkel einer Residenz und Hauptstadt:

Annähernd dem der Musik gewidmeten Zeitaufwand kam indes derjenige gleich, welcher den belletristischen Erzeugnissen der Literatur vergönnt ward. Die Kenntnis der neuesten französischen und englischen, auch russischen, dänischen und italienischen Romane unterlag keiner Anzweiflung, und aus dem durchgehenden Zutreffen dieser Voraussetzung ergab sich die Möglichkeit und der Genuß allseitigen tiefsten ästehetischen Eindringens in die Gesetze, die Technik, den kulturhistorischen Wert und die dichterischen Schönheiten der natürlich in ihren Originalsprachen gelesenen epochemachenden Werke.“ (1886, S. 10)
1 Vgl. David George: Henrik Ibsen in Deutschland. Rezeption und Revision. Göttingen 1968, S. 62 ff. sowie aktuell Nasjonalbiblioteket. www. Ibsen.nb.no

2Ibsen kehrte nach einem Stipendium für Rom 1864 erst 1891 ins ungeliebte Norwegen zurück. Er hielt sich 1864-68 und 78-85 in Rom auf, zwischendurch in Dresden 1868-75 sowie in München 1875-78 und 85-91, wo er Kontakte zum Literatenkreis um Paul Heyse hatte. In den Briefen lassen sich keine Verbindungen finden, vgl. Henrik Ibsen. Samlede Verker. Sekstende Bind. Brev 1844-1871. Oslo: Gyldendal 1940.

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